Kapitel 2

Kapitel 2

Irgendwann begann es zu regnen. Die Stadt lag schon still in nächtlicher Verlassenheit da. Nichts außer dem Regen war zu hören, schon gar nicht das Weinen eines Kindes. Arthur ging nach Hause, denn ihm fiel im Moment nichts Besseres ein. Er war ganz einfach nicht in der Lage, nach links oder rechts zu denken; die Möglichkeit, jemanden nach dem Verbleib seines Kindes zu fragen oder vielleicht die Polizei einzuschalten, nichts davon drang ein in den Tunnel, in dem seine Gedanken gefangen waren. Die Idee, dass der Bub ja vielleicht schon zuhause sein könnte, ließ seine Schritte nun schneller werden; aber die Frage, wie das hätte geschehen sollen, stellte er sich indes nicht. Als er die Tür zu dem Altstadthaus, in dem sie ein Zimmer in der Mansarde bewohnten, erreichte, war er längst in den Laufschritt gefallen; nur schnell hinauf unters Dach. Natürlich fand er ihr Zimmer leer vor, nachdem er die Tür geöffnet hatte. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und tauchte ab in ohnmächtige Verzweiflung. Ein Knall auf der Straße riss ihn dann irgendwann hoch. Er stand auf und holte die Schnapsflasche aus dem Küchenschrank. Ein kleiner Schluck war noch darin. Das Brennen des starken Alkohols in der Kehle katapultierte ihn in eine andere Sphäre. Er riss die Augen auf. Sein Blick streifte ihr gemeinsames Bett, doch das hielt er nicht aus. Er durfte nicht mehr dort hinsehen, sagte er sich. Sie würde ihn verantwortlich machen, vielleicht war er ja auch wirklich schuld. Er hatte den Kinderwagen schließlich vor dem Geschäft stehen lassen. Ganz sicher war er schuld. Sie würde ihm nie verzeihen. Völlig zurecht würde sie ihn wegschicken, denn gar nichts hatte er in seinem Leben hingebracht. Das hatte er schon immer über sich gedacht, und spätestens jetzt würde sie auch erkennen, dass er ein vollständiger Versager war. Nicht einmal auf ein kleines Kind konnte er aufpassen. Ihre Liebe war zu Ende. Da gab es kein gemeinsames Weiterleben, kein Verzeihen, keinen Neubeginn. Er konnte nur gehen. Wieder begann er zu schluchzen. So saß er eingesunken da. Auf dem Kästchen stand ein Wecker, dessen monotones Ticken ihn in noch tiefere Abgründe zog.

Lange verharrte er bewegungslos. Die Vorstellung musste bald zu Ende sein, und Inga würde nach Hause kommen. Auf gar keinen Fall durfte er ihr begegnen. Es gab tatsächlich nur diese eine Lösung: Er würde weggehen, irgendwo hin, wo ihn Niemand fand, wo er sich verkriechen konnte. Im Schrank fand er noch den alten Beutel, in dem er schon damals, als er fortging von seinen Eltern seine Sachen trug. Er stopfte ein paar wenige Kleidungsstücke hinein, dann nahm er sich die Hälfte ihres zurückgelegten Geldes aus der Blechdose im Küchenschrank. Ohne sich noch einmal umzusehen, zog er die Tür ins Schloss und stahl sich rasch davon.