Kapitel 1
Der alte Kinderwagen war nur schwer vorwärts zu bewegen auf dem Kopfsteinpflaster. Der Bub ließ sich allerdings nicht stören von dem Rumpeln, er schlief fest. überhaupt war der Kleine gut zu haben. Nur im Fall wichtigster Bedürfnisse meldete er sich. Vielleicht spürte er ja, dass seine Eltern nicht immer sehr belastbar waren. Geschoben von der Mutter bog der Kinderwagen aus der Gasse in eine breite Straße. Der Vater trottete nebenher. Jetzt im Spätherbst wurde es schon kühl in den Abendstunden, daher stoppte die Frau das Gefährt und knöpfte sich den Mantel bis zum Kragen zu. Auch der Vater blieb nun stehen. Bewundernd sah er seine Frau an. Ja, das war es: Er bewunderte sie, er verehrte sie leidenschaftlich. Stolz war er, dass diese Frau seine Ehefrau geworden war. Manchmal konnte er dieses Glück gar nicht fassen, denn über weite Strecken seines Lebens hätte er nie mit dieser Wendung hin zum Guten gerechnet. Die Fahrt ging weiter, vorbei an einem schlichten Verkaufsstand. Auf dem einfachen Tisch mit einer dunklen Decke waren Körbe mit Kartoffeln, Zwiebeln und Äpfeln aufgestellt. Hinter dem Tisch standen eine alte Frau und ein Mann, dem ein Arm fehlte. Der Krieg war zwar schon einige Jahre zu Ende, doch deutlich sichtbar war er noch immer. Die Zerstörung der Bausubstanz, der Körper und der Seelen der Menschen begegnete man auf Schritt und Tritt. Die alte Frau entzündete eine Petroleumlampe, das erste Licht in der düsteren Häuserschlucht.
An der Kreuzung mit der Straße, die zum Theater hinaufführte, übernahm der Vater den Kinderwagen. Die junge Frau beugte sich darüber und gab dem Kind einen Kuss. Dann lächelte sie ihrem Mann zu. Wie schön sie war, dachte er. Im Gehen wandte sie sich noch einmal um und winkte, dann verschwand sie in der Menge. Arthur freute sich für sie. Den Erfolg im Theater und die damit verbundene Anerkennung, all das gönnte er ihr von ganzem Herzen. Sie sollte den Ruhm und den besseren Verdienst ruhig haben, so lange sie nur die Seine war. Es ging schon in Ordnung, dass er es nur zum Bühnenbeleuchter gebracht hatte. Vor ein paar Jahren waren sie hierher gekommen, als die Kriegsschäden beseitigt waren, als das Theater wieder eröffnet wurde. Und nun schob er den Kinderwagen mit ihrem Sohn. Er durfte ein Kind haben mit seiner geliebten Frau. Sie waren eine kleine, glückliche Familie, und in der Zukunft würde alles noch besser werden. Das sagten alle, er glaubte es gerne. Mit einem Mal kam Wind auf. Die letzten Blätter wurden durch die Straßen getrieben, eine Tür schlug zu, auf der anderen Seite lief ein Herr, der seinen Hut festhielt. Arthur musste noch ein paar Lebensmittel einkaufen. Er stellte den Kinderwagen mit dem schlafenden Buben vor der Tür ab und betrat den Laden. Nun musste er warten, weil zwei Kunden vor ihm in der Schlange standen. Der Wind draußen wurde immer stärker. Durch die Scheibe der Eingangstür sah er Menschen im Laufschritt, die ihre Sachen an sich gepresst hielten. Als er dann endlich an der Reihe war, hatte sich der Wind in einen Sturm verwandelt, der erbarmungslos durch die Stadt fegte. Mit dem Gesicht der Verkäuferin zugewandt, hörte er nur, wie alle möglichen Gegenstände auf der Straße knallend umfielen. Er wollte so schnell wie es nur ging den Buben in Sicherheit bringen, doch es dauerte. Die Verkäuferin starrte an ihm vorbei hinaus ins Freie und murmelte „so was, ja das glaubst du nicht!“. Schließlich war es doch so weit: Sie verpackte die Lebensmittel und gab ihm umständlich das Restgeld zurück. Arthur riss die Eingangstür auf: Nichts, kein Kinderwagen. wo er ihn abgestellt hatte, lag ein vom Sturm abgerissenes Plakat auf dem Kopfsteinpflaster. Er schaute in alle Richtungen. Der Kinderwagen war weg. Mit zitternden Knien rannte er bis zur nächsten Ecke. Doch auch da konnte er ihn nicht entdecken. Völlig neben sich lief er nun die Straßen und Plätze ab, sah in alle Hauseingänge und Winkel, nirgends wurde er fündig. Dann blieb er plötzlich stehen und wurde starr.